UN-Menschenrechtskommissar Türk rät von den EU-Plänen zur verdachtslosen Durchsuchung aller privater Nachrichten und Fotos mit fehleranfälligen Algorithmen (Chatkontrolle) ab und zweifelt ihre Vereinbarkeit mit Menschenrechten.[1] In einer neu veröffentlichten Stellungnahme warnt das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR): „Bei einer allgemeinen Durchsuchung der Kommunikation lassen sich häufige Fehlalarme nicht vermeiden, selbst wenn die Trefferquote hoch ist, so dass zahlreiche unschuldige Personen davon betroffen sind. In Anbetracht [dessen] dürfte eine wahllose Überwachung die freie Meinungsäußerung und die Vereinigungsfreiheit erheblich einschränken, so dass die Menschen die Art und Weise ihrer Kommunikation und Interaktion mit anderen einschränken und zur Selbstzensur greifen.“
Speziell die geplante Nachrichtendurchleuchtung auf privaten Smartphones zur Aushebelung sicherer Nachrichtenverschlüsselung (sog. client-side scanning) kritisiert der Menschenrechtekommissar: „Das clientseitige Scannen bringt auch neue Herausforderungen für die Sicherheit mit sich und macht Sicherheitsverletzungen wahrscheinlicher. Der Screening-Prozess kann auch manipuliert werden, so dass es möglich ist, künstlich falsch positive oder falsch negative Profile zu erstellen. Selbst wenn das clientseitige Screening für aktuelle Zwecke eng zugeschnitten ist, wird die Öffnung von Geräten für staatlich angeordnete Screenings wahrscheinlich zu zukünftigen Versuchen führen, den Umfang der Inhalte, die Ziel solcher Maßnahmen sind, zu erweitern. Insbesondere dort, wo die Rechtsstaatlichkeit schwach ist und die Menschenrechte bedroht sind, könnten die Auswirkungen der client-seitigen Überprüfung viel umfassender sein, z. B. könnten sie zur Unterdrückung der politischen Debatte oder zur gezielten Bekämpfung von Oppositionellen, Journalisten und Menschenrechtsverteidigern eingesetzt werden.“
Insgesamt kommen die Menschenrechtsexperten zu dem Schluss: „Ohne eine eingehende Untersuchung und Analyse scheint es unwahrscheinlich, dass solche Beschränkungen nach den internationalen Menschenrechtsvorschriften als verhältnismäßig angesehen werden können, selbst wenn sie in Verfolgung legitimer Ziele auferlegt werden, angesichts der Schwere ihrer möglichen Folgen.“ Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs „untermauern diese Schlussfolgerung“. Danach sei eine automatische Analyse nur bei Bedrohung der nationalen Sicherheit denkbar. „Das Gericht lehnt jede andere Rechtfertigung ab.“ Die Rechtsprechung zeige „eine noch stärkere Skepsis gegenüber dem Screening von Inhaltsdaten“. Der Menschenrechtskommissar empfiehlt Nachrichtendurchsuchungen nur gezielt bei verdächtigen Einzelpersonen vorzunehmen.
Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer kommentiert: „Die Menschenrechtsexperten sprechen aus, was in Brüssel totgeschwiegen wird: Wahllose Massenüberwachung unserer privaten Kommunikation ist nicht nur ineffektiv, sondern auch eindeutig illegal. Die Wölfe im Kinderschutzpelz in Brüssel sind aber in einer so klaren Mehrheit, dass es massive Proteste brauchen wird, um das digitale Briefgeheimnis und digitale Sicherheit im Netz zu retten. Alle werden gebraucht!“