Bundestrojaner allgemein nutzbar

Der Bundestag hat mit den Stimmen der großen Koalition ein Gesetz verabschiedet, das in seiner Reichweite und allgemeinen Anwendung so unspezifisch gestrickt ist, dass das Bundesverfassungsgericht diese Regelungen komplett kippen müsste. Sollte dies wirklich so kommen, wäre es einmal mehr ein Beispiel dafür, dass deutsche Ministerien seit Jahrzehnten handwerklich einfach schlecht arbeiten. So viele Urteile gegen Gesetze der jeweiligen Regierung hatte es bis Ende der 80er Jahre nicht gegeben, danach fielen offenbar alle Hemmungen jede Grenze zu überschreiten, die das Grundgesetz dem Gesetzgeber auferlegt. Jetzt also der Staatstrojaner, der für alle Bundespolizei- und Geheimdienstbehörden frei verwend- und ausnutzbar sein soll – selbst dann, wenn noch keine Straftat begangen worden ist.

Piratenpartei

Die Piratenpartei Deutschland, die sich bereits seit ihrer Gründung gegen Online-Überwachungstools einsetzt, sieht hierin einen Dammbruch. Gerade die Möglichkeit einer präventiven, das heißt ohne Verdacht einer Straftat erfolgenden Überwachung ist ein massiver Eingriff in die freiheitlichen Bürgerrechte und erzeugt zudem unnötige Sicherheitslücken für die Online-Kommunikation.

Stefano Tuchscherer, stellvertretender politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland: „Wir Piraten fordern die Digitalisierung, und wollen diese gestalterisch begleiten. Diese Staatstrojaner aber sind eine Sicherheitslücke, ein Einfallstor, die zu Hacker-Angriffen geradezu einlädt. Wenn die digitale Umgebung von staatlicher Seite zerlöchert und unsicher gemacht wird, erzeugt das ein Misstrauen, das ein positives Nutzen der Vorteile aus der Digitalisierung unmöglich macht.“

Freie Wähler

Heute wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD der Einsatz von Staatstrojaner im Bundespolizeigesetz massiv ausgeweitet. Die Freien Wähler kritisieren insbesondere die Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten gegen Personen, die noch gar keine Straftat begangen haben, sowie die Freigabe für alle Geheimdienste. Hier droht die rechtsstaatliche Kontrolle im Bereich der Bürgerrechte verloren zu gehen.

Gregor Voht, stellvertretender Bundesvorsitzender der Freien Wähler, sieht in der unkontrollierten Ausweitung der Befugnisse zum Einsatz von Überwachungssoftware einen Verstoß gegen die Bürgerrechte: „Die CDU lebt gerade ihr Überwachungsstaat-Fetisch voll aus. Diese ‚Lizenz zum Hacken‘ für unsere Bundesbehörden trägt nicht zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger bei. Vielmehr gefährden die Staatstrojaner, durch die für den Einsatz benötigen Sicherheitslücken, die gesamte öffentliche Infrastruktur. Dass jetzt auch schon präventiv die Privatsphäre von Bürgern verletzt werden darf, ist ein direkter Angriff auf unsere Bürgerrechte. Die zusätzliche Ausweitung der Nutzung von Quellen-Telekommunikationsüberwachung für alle Geheimdienste macht eine Kontrolle der Einsätze zusätzlich schwierig.“

Neben der bewussten Ausnutzung von Sicherheitslücken wurden bereits 2017 Provider auf Anweisung von Behörden gezwungen, die Verbindungen ihrer Kunden zu manipulieren, um die Einschleusung der Trojaner-Software „FinFisher“ zu ermöglichen. „Ursprünglich sollten die Trojaner nur zur Prävention von internationalem Terrorismus eingesetzt werden. In den letzten Jahren wurde das Einsatzgebiet auch auf Alltagskriminalität ausgeweitet. Gleichzeitig dürfen immer weitere Behörden auf diese Technik zugreifen. Kombiniert mit dem Druck auf Provider und Hersteller von Endgeräten zeigt sich hier ein breiter Angriff auf die Privatsphäre jedes Einzelnen. Wir fordern deshalb eine klare rechtsstaatliche Kontrolle bei Einsatz.“, so Voht weiter.

Chaos Computer Club

Der CCC verfasste einen offenen Brief kurz vor der beschließenden Abstimmung im Bundestag – die vorgebrachten Bedenken bei Beschluss sind nun wohl eher als Bedenken gegen diesen heute gefassten Beschluss zu lesen: Diese Initiative wird durch zivilgesellschaftliche Organisationen und Unternehmen getragen. Die Unternehmen sind Anbieter diverser Kommunikationsdienste von klassischer Telekommunikation, Email, Messenger Services bis hin zu VoiP. Die Unterstützer dieser Initiative sind sehr besorgt über die massive Ausweitung der QuellenTelekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) in der “Anpassung des Verfassungsschutzrechts” und insbesondere der Reform des “Artikel 10-Gesetzes”, welche Anbieter von Kommunikationsdiensten dazu zwingen könnte, die Sicherheit und Integrität ihrer eigenen Dienste einzuschränken, um Nachrichtendiensten bei der Spionage zu unterstützen.

AfD

„Noch vor kurzem hat die SPD-Vorsitzende Saskia Esken großspurig angekündigt, den erweiterten Einsatz von Staatstrojanern auf keinen Fall mitzutragen. Gestern nun hat sich die Regierung auf ein Gesetz geeinigt, das genau diesen Einsatz besiegelt. Bereits am Donnerstag soll das Polizeigesetz im Bundestag verabschiedet werden. Einmal mehr hat Saskia Esken gezeigt, dass ihr Wort nichts wert ist und sie nicht für bürgerlichen Freiheiten steht, sondern sie, im Gegenteil, verrät.

Nach diesem Gesetz darf die Bundespolizei sogar Staatstrojaner gegen Personen einsetzen, die noch gar keine Straftaten begangen haben und gegen die kein Tatverdacht vorliegt. Internet-Firmen werden gezwungen, bei der Installation des Trojaners zu helfen. Mit diesem Vorgehen ignoriert die Regierung den breiten Protest der Fachwelt gegen das Gesetz. Der CCC weist völlig zurecht darauf hin, dass dies der Todesstoß für das Vertrauensverhältnis zwischen Nutzern und Anbietern ist. In der Ausschussanhörung im Bundestag kritisierten selbst die Sachverständigen der Koalition das Vorhaben der Regierung scharf. Doch wie beim IT-Sicherheitsgesetz 2.0 oder beim Thema Uploadfilter kümmert es Union und SPD nicht, was Fachwelt und Gesellschaft sagen. (…)“

FDP, Konstantin Kuhle

Die Einführung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung für Bundespolizei und Verfassungsschutz ist ein Generalangriff auf die Bürgerrechte und die IT-Sicherheit. Der Umgang mit den hierfür notwendigen Sicherheitslücken ist völlig ungeklärt. Die praktischen Schwierigkeiten mit dem so genannten Staatstrojaner bringen für alle Bürgerinnen und Bürger Nachteile mit sich, die digital kommunizieren. Mit dem aktuellen Gesetzespaket der Großen Koalition werden die Befugnisse von Nachrichtendiensten, Polizei und Strafverfolgung außerdem derart miteinander vermischt, dass von einer wirksamen Trennung keine Rede mehr sein kann. Es führt aber nicht zu mehr Sicherheit, wenn alle alles dürfen. Statt endlich eine Strukturreform der Sicherheitsbehörden auf den Weg zu bringen und etwa die Anzahl der Landesämter für Verfassungsschutz zu reduzieren, setzen Union und SPD weiter auf organisierte Verantwortungslosigkeit.

Bündnis 90/Die Grünen, Konstantin Notz

Nachrichtendienste sind ein wesentliches Werkzeug im Baukasten unserer wehrhaften Demokratie. Sie verdienen sichere, kohärente und verfassungskonforme Handlungsgrundlagen. Statt diese zu liefern, zeigt die Große Koalition erneut: Die innere Sicherheit ist bei ihr in ganz schlechten Händen.

Dass die Bundesregierung nun die Befugnisse im Bereich der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung ausweitet, geht auf Kosten der Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger. Den ständigen Abbau von Freiheitsrechten durch Staatstrojaner und Hintertüren können wir uns angesichts vielfältiger Angriffe auf unsere Demokratie ebenso wenig leisten wie die Symboldebatten der Großen Koalition, die die Sicherheit gefährden, statt die Probleme effektiv anzugehen. Insgesamt verfehlt die Große Koalition erneut die Chance einer echten Reform. Was es jetzt dringend braucht, ist eine Zäsur und eine strukturelle Neuorganisation der Nachrichtendienste in Deutschland.

Die Linke, Anke Domscheit-Berg

Diese Gesetzesänderungen sind ungeheuerlich und ganz klar verfassungswidrig, denn ihre erheblichen Grundrechtseingriffe, insbesondere die Anwendbarkeit des Staatstrojaners auch ohne begründeten Tatverdacht, sind alles Andere als angemessen. Auch ob Staatstrojaner überhaupt geeignet sind, konnte die Bundesregierung bisher nicht nachweisen, obwohl laut EUGH Rechtsprechung genau ein solcher Nachweis für derartige Grundrechtseingriffe unabdingbar ist. Dafür nimmt die Große Koalition die Schwächung der IT-Sicherheit für alle Nutzer:innen weltweit in Kauf, da die für den Staatstrojaner offen gehaltenen Sicherheitslücken auch für Kriminelle und fremde Geheimdienste offen bleiben. Unverhältnismäßig und gefährlich ist außerdem, IT-Unternehmen dazu zu zwingen, ihre eigenen Produkte unsicher zu machen, und so Helfershelfer für staatliche Überwachung zu werden. Das gefährdet grundsätzlich jedes Vertrauen in die digitale Gesellschaft und hat nichts mehr mit der häufig behaupteten Verteidigung europäischer Werte und einer klaren Abgrenzung von chinesischer Staatsüberwachung zu tun.

 


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