Europaabgeordnete warnen parteiübergreifend vor den Chatkontrolle-Massenüberwachungsplänen der EU

Zum Europäischen Datenschutztag wenden sich Europaabgeordnete in einem parteiübergreifenden Brandbrief an die Europäische Kommission: Die Abgeordneten warnen, dass der für März 2022 von der Kommission angekündigte Gesetzentwurf zur verdachtslosen Nachrichten- und Chatkontrolle auf allen Handys zu einer Massenüberwachung der privaten Kommunikation aller EU-Bürger führen würde. Zudem bedrohe ein solches Gesetz die sichere Verschlüsselung und die IT-Sicherheit allgemein.

Ähnlich der hochumstrittenen „SpyPhone“-Pläne des Apple-Konzerns will die EU-Kommission zum „Schutz von Kindern“ künftig alle Anbieter von Kommunikationsdiensten dazu zwingen, den Inhalt der gesamten persönlichen Kommunikation aller Bürger anlasslos zu überwachen und zu scannen. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll am 2. März vorgestellt werden. Bisher sicher Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation müsste dazu auf allen Handys durchleuchtet und im Verdachtsfall automatisiert ausgeleitet und angezeigt werden. „Die wahllose und generelle vorsorgliche Überwachung der Online-Aktivitäten aller Menschen verursacht verheerende Kollateralschäden“, appellieren die Europaabgeordneten an die zuständigen EU-Kommissare Margrethe Vestager, Margaritis Schinas, Věra Jourová, Thierry Breton, Didier Reynders und Ylva Johansson. Die geplante Chatkontrolle „missachtet den Kern des Grundrechts auf vertrauliche Kommunikation (Artikel 7 der Charta) und ist daher weder notwendig noch verhältnismäßig“ heißt es weiter.

„Sie hat eine abschreckende Wirkung auf die Ausübung der Grundrechte im Internet, auch für Kinder und Opfer, Minderheiten, LGBTQI-Personen, politische Dissidenten, Journalisten usw. Diese Methode stellt einen Präzedenzfall für die spätere Ausweitung auf andere Zwecke dar. Die Auslagerung von Strafverfolgungsaktivitäten (Verbrechensaufdeckung) an private Unternehmen und deren Maschinen hebt den Schutz auf, den die Unabhängigkeit und Qualifikation öffentlicher Ermittler sowie die institutionelle Aufsicht über deren Aktivitäten gewährleisten.“

Die EU-Abgeordneten (darunter aus u.a. Deutschland Patrick Breyer (Piratenpartei), Thiemo Wölken und Petra Kammerevert (SPD) und Sergey Lagodinsky (Bündnis 90/Die Grünen)) zeigen sich besorgt über jüngste Medienberichte, denen zufolge Ermittler Plattformen für sexuellen Kindesmissbrauch wie „Boystown“ zwar stillgelegt haben, es aber versäumten, die verlinkten Inhalte zur Löschung zu melden. Das bedeutet, dass Tausende von Gigabytes illegaler Bilder weiterhin zugänglich sind.

„Die Ermittler argumentieren, dass ihnen die Kapazitäten fehlen, um das ihnen bekannte Material zu melden. Würde man die ohnehin schon überlasteten Ermittler noch zusätzlich mit Tausenden von zumeist falschen Meldungen belasten, in denen bekanntes illegales Material über kommerzielle Kommunikationsdienste weitergegeben worden sein soll, ließe man die Opfer im Stich. Der Opferschutz hängt davon ab, dass alle Ressourcen auf die Verhinderung von Missbrauch und der Produktion von Missbrauchsmaterial konzentriert werden,“ so die Abgeordneten.

Der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) kommentiert: „Dieser Big-Brother-Angriff auf unsere Handys zur totalen Durchleuchtung unserer privaten Kommunikation mit fehleranfälligen Denunziationsmaschinen droht in einen Überwachungsstaat nach chinesischem Vorbild zu führen. Soll vielleicht als nächstes die Post alle Briefe vorsorglich öffnen und scannen? Eine wahllose und grundrechtswidrige Suche ins Blaue hinein ist der falsche Weg zum Schutz von Kindern und gefährdet diese sogar, indem ihre privaten Aufnahmen in die falschen Hände geraten und Kinder vielfach kriminalisiert werden. Überlastete Strafverfolger, die nicht einmal für die Sichtung bekannter Kinderpornografie Zeit haben, mit größtenteils falschen Massenanzeigen zu fluten, ist unverantwortlich den Kindern gegenüber, deren Missbrauch dadurch fortgesetzt wird.“


Beitrag veröffentlicht

in

von