In einer nicht verbindlichen Stellungnahme von gestern empfiehlt der polnische Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Szpunar, die bisherige Rechtsprechung aufzuweichen und eine flächendeckende Vorratsspeicherung der Internet-Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung zur Verfolgung von Filesharern zuzulassen, auch ohne richterlichen Beschluss [1]. Der Bürgerrechtler und Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) warnt:
“Ursprünglich hat der Europäische Gerichtshof eine wahllose Vorratsspeicherung der Internet-Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung mit der Begründung Kinderschutz zugelassen. Jetzt soll sie schon gegen Filesharer und Beleidigungen zugelassen werden. Das belegt: Alle Dämme brechen, wenn die rote Linie flächendeckender Massenüberwachung überschritten wird. Nur nicht gespeicherte Daten sind sicher vor Datengier, Missbrauch und Datenlecks.
Schon das Argument Kinderschutz rechtfertigt keine Internet-Vorratsdatenspeicherung: Die Aufklärungsquote gerade bei Missbrauchs- und Ausbeutungsdarstellungen im Netz übersteigt 90%. Nur 3% der Hinweise aus der freiwilligen Chatkontrolle sind nicht aufklärbar. Eine höhere Aufklärungsquote wurde weder unter Geltung einer IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 erreicht, noch ist sie im Ausland vorhanden, wo eine flächendeckende Vorratsspeicherung praktiziert wird. Kinderschutz geht anders, etwa mit der Finanzierung von Präventionsarbeit, Schutzkonzepten, Quick Freeze, verdeckten Ermittlungen und Loginfallen.
IP-Adressen sind wie unsere digitalen Fingerabdrücke. Ihre totale Erfassung würde Kriminalitätsvorbeugung durch anonyme Beratung und Seelsorge, Opferhilfe durch anonyme Selbsthilfeforen und auch die freie Presse gefährden, die auf anonyme Informanten angewiesen ist. Die massenhafte und flächendeckende Aufzeichnung der Internetverbindungen völlig unbescholtener Menschen ist eine totalitäre Maßnahme, die mit den Werten einer freien Demokratie nicht vereinbar ist.”
[1] https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2023-09/cp230151de.pdf