Chatkontrolle: EU-Regierungen wollen das Ende privater Nachrichten und sicherer Verschlüsselung beschließen

Mit einem minimalen Zugeständnis hoffen die EU-Regierungen, nächste Woche eine Mehrheit für das umstrittene „Chatkontrolle“-Gesetz zu erzielen.[1] Nach der vorgeschlagenen Verordnung sollen Anbieter von Messengern, E-Mail- und Chat-Diensten gezwungen werden, alle privaten Nachrichten und Fotos automatisch nach verdächtigen Inhalten zu durchsuchen und der EU zu melden. Um eine Mehrheit für diese beispiellose Massenüberwachung zu erreichen, schlug die EU-Ratspräsidentschaft am Dienstag vor, dass die Scanner zunächst nur nach zuvor klassifiziertem Material suchen und die noch weniger verlässliche Technik zur Klassifizierung unbekannter Bilder oder Unterhaltungen einem späteren Stadium vorbehalten bleiben soll. Der vorgeschlagene „Deal“ wird morgen von den Botschaftern diskutiert und könnte nächste Woche von den Ministern angenommen werden. 

Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei im Europäischen Parlament, digitaler Freiheitskämpfer und Mitverhandler des Vorschlags, warnt vor den Folgen eines solchen „Deals“: 

Erstens würde der vorgeschlagene Text den Einbau von Überwachungsroutinen und Schwachstellen in derzeit sicher Ende-zu-Ende verschlüsselten Messenger-Apps wie Whatsapp oder Signal vorschreiben. Dies würde das Ende der sicheren Verschlüsselung bedeuten, da wir nie sicher sein könnten, ob unsere Nachrichten oder Fotos an Personen weitergeleitet werden, die wir nicht kennen und denen wir nicht vertrauen können. Das so genannte „client-side scanning“ würde entweder unsere Kommunikation grundlegend unsicher machen, oder die europäischen Bürgerinnen und Bürger könnten Whatsapp oder Signal überhaupt nicht mehr nutzen, wie es die Anbieter bereits in Aussicht gestellt haben. 

Zweitens würde das vorgeschlagene wahllose massenhafte Scannen der privaten Kommunikation von Millionen von Bürgern, die nicht einmal im Entferntesten mit Straftaten in Verbindung stehen, unweigerlich von den Gerichten gekippt werden, wodurch die Hoffnungen von Kindern oder Opfern völlig enttäuscht würden. Alle unabhängigen Rechtsexperten und sogar der juristische Dienst des EU-Rates sind sich einig, dass eine wahllose Durchleuchtung privater Nachrichten nicht mit den Grundrechten und der Rechtsprechung des EU-Gerichtshofs vereinbar ist. Das Desaster um die gescheiterte Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung würde sich wiederholen. 

Drittens werden unsere Kinder durch das wahllose Scannen massenhaft kriminalisiert: Allein in Deutschland sind 40 % der Tatverdächtigen wegen Besitzes von ‚Kinderpornografie‘ minderjährig. Jugendliche sind sich der Strafbarkeit scheinbar lustiger Inhalte, die sie oft ungewollt über Chat-Kanäle erhalten, meist nicht bewusst. 

Viertens hilft die Suche nach bekanntem, also altem Material nicht, Opfer zu identifizieren und zu retten oder sexuellen Kindesmissbrauch zu verhindern. Vielmehr wird der Schutz der Opfer dadurch erschwert, dass Kriminelle auf sichere, dezentralisierte Kommunikationskanäle ausweichen, die selbst mit einem richterlichen Beschluss nicht abgehört werden können. Obwohl einige US-amerikanische Unternehmen wie Meta europäische Nachrichten schon heute ‚nur‘ nach ‚bekanntem Material‘ scannen, werden bis zu 80 % der gemeldeten Nachrichten von der Polizei als nicht strafrechtlich relevant eingestuft, so dass  unschuldige Bürger in Verdacht geraten. Die Kommission geht davon aus, dass sich die Zahl der gemeldeten Nachrichten infolge der künftig verpflichtenden Chatkontrolle vervielfachen wird, was die Strafverfolgungsbehörden überschwemmen und die Ressourcen überfordern würde, die ohnehin schon für gezielte oder verdeckte Ermittlungen gegen die organisierten Hersteller solchen Materials und gegen den laufenden sexuellen Missbrauch von Kindern fehlen. 

Fünftens: Die Tore für eine wahllose Überwachung zu öffnen wird   zum Dammbruch führen, zumal Europol bereits gefordert hat, such nach anderen Arten von Inhalten zu suchen. 

Der vorgeschlagene „Kompromiss“ berührt nicht einmal andere grundlegende Probleme des Gesetzentwurfs. So droht  das drohende Ende der anonymen Kommunikation und die Möglichkeit für anonyme Informantenhinweise infolge der obligatorischen Altersüberprüfung verloren zu gehen. Auch droht das Verbot von alltäglichen Messenger-, Social-Networking-, Spiele- und Videokonferenz-Apps für Jugendliche unter 16 Jahren, selbst wenn deren Eltern zustimmen. 

Dieser Vorschlag braucht dringend einen Neustart, der auf Sicherheit durch Design statt auf Massenüberwachung, Bevormundung und Zerstörung der IT-Sicherheit setzt. Die Zukunft unserer Privatsphäre und Sicherheit steht auf dem Spiel!“ 

[1] Spanischer Ratsvorsitz erwägt Begrenzung des Anwendungsbereichs von Chatkontrolle: https://www.euractiv.com/section/law-enforcement/news/child-sexual-abuse-material-spanish-presidency-floats-limiting-detection-orders-scope/

Breyers Website zum zur Chatkontrolle-Verordnung: www.chatkontrolle.de


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