Vertrauensverlust contra Gewinnmaximierung: Microsoft zwingt zur Verschrottung funktionsfähiger Hardware

Wenn Microsoft nächstes Jahr den Patch-Support für Windows 10 einstellt, werden eine Menge Computer unbrauchbar, die bislang perfekt funktionierten und dies auch weiterhin tun würden, wenn sie nur die Mindestanforderungen des Redmonder Betriebssystemherstellers für Windows 11 erfüllen würden. Für die Benutzer gibt es dann Szenarien. Das erste und vermutlich am häufigsten gewählte: Man kauft einen neuen PC mit Windows 11 und verfrachtet den bisherigen in die Ecke oder in den Keller (Nachhaltigkeit ist etwas anderes). Das zweite Szenario fußt darauf, dass man sich fit genug fühlt, auf ein anderes Betriebssystem umzusteigen und Windows 10 von der Platte zu fegen. Und das 3. Szenario: Man raubt dem Windows-10-PC den Zugang zum Internet und benutzt ihn weiter. Es gäbe dann noch ein Szenario: Man macht mit Windows 10 weiter wie bisher, was für ein paar Monate auch weitgehend gefahrlos möglich sein dürfte. Doch irgendwann wird eine Sicherheitslücke entdeckt werden, die groß genug ist, dass man sich mit so einer Maschine im Internet nicht mehr sicher fühlen kann.

Win11
Windows 11, Nachfolger von Windows 10, brach nicht nur bei den Hardware-Anforderungen mit dem genügsamen Windows 10 – es brach auch mit vielerlei Bedienschritten, die Windows bislang so einzigartig erfolgreich machten.

Guten Gewissens kann man also Senario 3 nicht empfehlen. Senario 1 ist so selbsterklärend, dass man sich damit nicht näher befassen muss, wenn man davon absieht, dass man sich angesichts der Unverfrorenheit des Betriebssystemherstellers sich schon überlegen sollte, ob man wirklich einen oder viele weitere Windows-PC beschafft – oder ob man viuelleicht zu Macintosh wechselt. In dieser Angelegenheit muss man zuallererst recherchieren, ob es die benötigte Software auch für den Mac gibt, oder zumindest gleichwertigen und ähnlich zu bedienenden Ersatz. Dieser Artikel befasst sich deshalb vorrangig mit Szenario 2 und zeigt auf, wo sich Stolperfallen befinden.

 

 

 

 

Ubuntu
Ubuntu überzeugt mit einer modernen Oberfläche, relativ geringen Hardware-Anforderungen und großer Flexibilität beim Anpassen beispielsweise an eine einheitliche Firmenoptik.

Zunächst einmal muss man sich für ein geeignetes Betriebssystem entscheiden, die BSD-Derivate scheiden im Grund aus, weil sie nicht für den Desktop-Betrieb ausgelegt sind. Letztlich bleibt nur ein beliebiges, dem persönlichen Geschmack entsprechendes Linux, es sei denn, man steigt auf Apple-Geräte um. Besonders beliebt ist Ubuntu, das aufgrund seiner modernen aufgeräumten Oberfläche besonders attraktiv wirkt. Hierzulande sind aber auch openSUSE und sein kommerzieller Ableger SUSE sehr beliebt – einen großen Anteil an dieser Beliebtheit hat yast („yet another System tool“). Bei openSUSE muss man allerdings sehen, dass die Nürnberger Firma ihre Distribution komplett auf links zieht und ab der kommenden Version einen völlig neuen Unterbau liefert – ratsam erscheint da zumindest, diese Version auszulassen und erst auf die 2. Ausgabe mit neuem Unterbau zu warten.

In die Überlegungen kann man aber auch einfließen lassen, dass es auch Linux-Derivate gibt, die besonders für ältere Hardware mit sehr viel weniger Leistung taugt, diese Distributionen kann man natürlich auch auf leistungsfähiger Hardware nutzen und so für einen ordentlichen Temposchub sorgen – letztlich gibt es für jeden Geschmack etwas, man muss sich nur im Vorfeld mit den vielfältigen Möglichkeiten auseinandersetzen.

Schwieriger ist da schon, dass man gerade in großen Unternehmen auf einige Widerstände stößt, wenn es um die Einführung eines neuen Betriebssystems geht. Das Beispiel München verdeutlicht diese Folgen enorm deutlich. Die bayerische Landeshauptstadt stellte ab etwa 2008 die komplette IT-Infrastruktur der Stadtverwaltung auf die Linux-Eigenentwicklung LiMux um. Mit dem Ende der Amtszeit von Oberbürgermeister wurde diese Entscheidung wieder revidiert und die Rolle rückwärts zu Windows ausgeführt. Schuld daran war, dass viele Benutzer mit dem z.T. erheblichen Unterschied in der Bedienlogik zwischen Windows und Linux nicht zurecht kamen – hinzu kamen Probleme mit der Kompatibilität von Notebooks und deren Energieverwaltung: Diese gilt noch immer als einer der Schwachpunkte von Linux.

Letztlich gilt die Umstellung auf Linux in München schon wegen der Rückrüstung auf Windows als gescheitert, verantwortlich machte man aber nicht nur den Benutzerwillen, sondern auch die zersplitterte IT-Landschaft sowie eine allzu optimistische Projektplanung bei der Umstellung. Diese Fehler sollte man also für den Fall, dass man eine solche Umstellung vorhaben sollte, nicht machen. Gerade in großen Unternehmen ist es ganz sicher sinnvoll, eine solche Umstellung als aufwendiges Projekt anzulegen, in das alle wichtigen Abteilungen eingebunden werden, sodass möglichst keine Arbeitsunfähigkeitsphasen aus der Umstellung resultieren. Und man sollte schon vorab für Mitarbeiterschulungen sorgen, damit die nach der Umstellung auch mit dem neuen System und der im Detail durchaus anders zu bedienenden Software klarkommen.

Win10
Windows 10 ist der Veteran der hier erwähnten Betriebssysteme, stabil, schnell und bestens geeignet für die typischen Büroaufgaben. Der Veteran liegt beim Anteil an den genutzten Betriebssystemen weltweit bei knapp 60%.

Eine andere Möglichkeit hält übrigens auch Microsoft offen: zusätzliche Support-Jahre können Unternehmen bei Microsoft „kaufen“. Damit kann man beispielsweise die Zeit bis zum Auslaufen der Leasingverträge für die Arbeitsplatz-Computer überbrücken, diese Option kann durchaus billiger sein als die verfrühte Neubeschaffung der Maschinen, und auch günstiger als das komplette Umschulen der Belegschaft auf ein neues Betriebssystem mit neuer Software, hinzu kommt, dass viele Anwender sich in einer gewohnten Umgebung wohler und sicherer fühlen – und deshalb auch produktiver sein können – als in einer völlig neuen Umgebung. Dennoch: Der Vertrauensverlust wiegt schwer, den Microsoft mit der radikalen Abkehr von „vernünftigen“ Anforderungen an die Hardware zum Betrieb von Windows verursacht hat.

Stephan Mayer

 

 


Beitrag veröffentlicht

in

,

von